GUT geknipst – Usedom und der Inselherbst

Usedom und der Inselherbst:

Im Oktober nimmt Dich Conny Eisfeld, aka Lomoherz, in ihrer Kolumne mit auf die Insel Usedom!

??? oder: Ich brauche Herbst-Nachhilfe

Am nordischen Herbst verstehe ich so einige Dinge nicht. Zum Beispiel warum es Rollmützen für Männer gibt, die zwar den lichter werdenden Haarschopf, aber nicht die Ohren bedecken. Warum man sich auch nach 30 Jahren noch über den ungemütlichen Ost-Wind beschwert. Oder warum sich bei uns nie eine richtige Tee-Kultur entwickelt hat.

Über diese Dinge denke ich nach, wenn ich mir beinahe den Hals abschnüre, um den Nieselregen nicht in den Kragen zu lassen und störrische Angler auf der Seebrücke beobachte, deren Ohrspitzen schon ganz rot gefärbt sind.

 

Der Inselherbst-Rundgang startet hier: Bansin

Die Seebrücke auf der ich stehe, liegt in Bansin, das erste der drei Kaiserbäder auf Usedom, auch wenn es gefühlt nicht so viele Treffer hat wie die anderen beiden Seebäder, die heute auch noch auf meinem Reiseplan stehen.
Aber zurück zur Seebrücke: Ist euch schon mal aufgefallen, dass Seebrücken oder Buhnen von oben betrachtet aussehen wie die Reißzähne der See? Vielleicht ein bisschen unheimlich, aber irgendwie fressen sie ja auch die Wellen auf.

Die Bansiner Seebrücke ist um diese Jahreszeit noch ziemlich gut besucht und ich bin überrascht, wie schnell der Besucherstrom abreißt, wie leer und anders die muschelförmigen Bühnen vor den Dünen aussehen. Unwillkürlich muss ich an den letzten Sommer zurückdenken, den ich auf der Insel verbrachte. Sobald ein Orchester aufspielte oder ein Kaschperle in seinem Puppentheater auftrat, fand man kaum mehr einen freien Platz im Auditorium. An den Strandübergängen wurden die Fahrrad-Plätze knapp und Eiscreme-Kleckereien zogen sich wie ein Brotkrumenpfad entlang der Promenade. Es war auch die Woche des Kleinkunstfestivals und nicht selten klingelte jemand wild auf seinem Hochrad oder zog auf Stelzen vorbei.

Jetzt ist da nur dieser riesige Hund, der mich dabei beobachtet, wie ich beim Perspektivwechsel beinahe mein Gleichgewicht verliere. Statt Eis gibt es eine heiße Waffel am Stiel und auf den Bänken findet man nur noch vereinzelte Spaziergänger, die ihre Nase in gleichzeitig Schal und Buch stecken.

Aber so ist es auch schön.

Ein U(sedom)-To-Do: Kaiserlich zwischen den 3 Seebädern wandeln

Das besondere an den drei Kaiserbädern ist, dass man von Bansin über Heringsdorf bis nach Ahlbeck zu Fuß laufen kann. Und zwar schnurstracks auf einer einzigen Promenade entlang. Links das Meer, rechts die Villen und über den Köpfen die Laubbäume, die im Herbst ganz golden schimmern.

Ist man erstmal auf der Insel, kann man alles von sich abstreifen: Stress, Termindruck, ständige Erreichbarkeit.
Die Insel Usedom und vor allem die Kaiserbäder lassen sich innerhalb weniger Stunden grob erkunden. Aber das will sie gar nicht. Mit ihren vielen versteckten Nischen, den Parkbänken und dem Strand wird man fast dazu gezwungen, einen Gang herunterzuschalten. Der Rhythmus ist hier ein anderer.
Der Zipfel Usedoms lässt sich locker zu Fuß erkunden. Für den Rest gibt es die kleine Bäderbahn und die Insel-Fahrräder, die man an einer der vielen Stationen ausleihen und an einer anderen zurückgeben kann.

In den späteren Jahreszeiten ist Usedom in der Regel nicht so stark besucht wie zur Sommerzeit; Ferienzeit und Feiertage ausgenommen. Wer auf Tiefenentspannung aus ist und mit der See alleine sein möchte, sollte die Hochsaison meiden.

Auch in der Nebensaison haben einige Geschäfte geöffnet. Es sind nicht übermäßig viele, aber dafür gibt es einen schönen Mix aus Schickimicki- und Touri-Läden, ein paar Namen die man schon kennt und individuellen Läden mit Charakter, die immer eine Entdeckung wert sind. Im Herbst und Winter gibt es ein kleines aber feines Kulturprogramm.
Ende Oktober wird zum Beispiel ein Drachenfest veranstaltet. Die Jahreszeit ist perfekt dafür: Der Strand ist frei und weitläufig, der Wind ist selten fern. 

Zwischendurch: Das Meer bewundern

Das Meer ist zwar zu jeder Jahreszeit bewundernswert, doch im späten Herbst und Winter ist die Luft klar und kalt. Die ersten Herbststürme bringen ungestüme Wellen und einen spannenden Kontrast zum trägen Sommermeer. Mit etwas Glück ist die Ostsee später eine einzige Eisschollenlandschaft. Aber dafür muss es schon sehr kalt sein, denn die Winter an unserer Küste sind mild.

Und gibt es etwas schöneres, als nach einer anstrengenden Woche auf der Arbeit an den Strand zu gehen, sich Schuhe und Socken abzustreifen und die Zehenspitzen ins Wasser zu tauchen? Dass die Ostsee nur im Sommer betretbar ist, ist nur ein Urlaubs-Mythos. Anfang Herbst ist sogar perfektes Wasser-Wat-Wetter. Nach einem langen Sommer ist das Wasser noch aufgewärmt und der Lufttemperatur oft ähnlich.

Im Gegensatz zur baumverhangenen Promenadenallee und den vielleicht Eisschollen auf dem Meer, liegt der Strand oft jahreszeitenlos dar. Und doch gibt es das ganze Jahr über kleine Schätze zu entdecken: Muscheln, Treibgut, Seeglas und Bernstein. Man muss nur lange genug den Blick von der See abwenden.

Am Fischerstrand

Kurz vor Heringsdorf (und passend zum Ortsnamen) erstreckt sich der Fischerstrand. Hier kann man gemütlich knurrenden Fischern dabei zusehen, wie sie die frisch gefangenen Fische abschuppen und ausnehmen – und dann filetiert (bzw. eingelegt oder geräuchert) direkt ins Brötchen packen. Noch Salat und (rote) Zwiebeln dazu – fertig ist das frischeste Fischbrötchen der Insel. Bannig lecker!

An einigen Strandübergängen liegen Fischerboote zu Tau, die morgens ins Wasser gelassen und später hinauf gezogen werden.

Eine bestimmte Touri-Gruppe ist übrigens auch im Herbst nicht minder vertreten. Ich lege das letzte Stück nach Ahlbeck am Strand zurück und werfe den Möwen einen argwöhnischen Blick zu. Schließlich halte ich gerade ein Fischbrötchen in der Hand.
Wer noch nie gesehen hat, wie eine dicke Möwe den schönen Hering aus dem Brötchen mobst, darf nicht eher die Insel verlassen.

Bube-Dame-König - Die Usedomer Seebrücken

Wer kennt sie nicht. Die Usedomer Seebrücken. Auf keiner Postkarte dürfen sie fehlen. Dabei könnten sie unterschiedlicher gar nicht sein! Von simpel-charmant (Bansin), über futuristisch (Heringsdorf) bis pompös (Ahlbeck) ist alles dabei. 

Die Heringsdorfer Seebrücke gilt übrigens als die längste und die Ahlbecker Seebrücke als die älteste Seebrücke in Deutschland.

Bansin

Auch im Unterhaltungsfaktor unterscheiden sie sich: während man in Bansin über die Seebrücke schlendert und einfach die See und die Aussicht genießt, kann man auf der Heringsdorfer Seebrücke ordentlich shoppen und auf der Ahlbecker Seebrücke galant essen und heiraten. 

Heringsdorf

Erstrecken sich die Usedomer Seebrücken erst einmal vor den eigenen sandigen Füßen, fragt man sich, wie besagte Postkarten-Fotograf:innen sie jemals einsam und verlassen vorgefunden haben können. Um 5 Uhr aufstehen? Langzeitbelichtungen, sodass die Menschen darauf verschwinden? Im Zwielicht darauf warten, dass die Menschenmenge endlich aufklart? Im Sommer vielleicht. In der Nebensaison hat man dagegen durchaus Chancen, die Seebrücken für sich alleine zu haben, um ein klassisches Postkartenmotiv aufzunehmen (Am Wochenende und zu Ferienzeiten bleibt das allerdings auch weiterhin eine Herausforderung wie man sieht).

Ahlbeck

Die Bäderarchitektur entdecken

Usedom ist berühmt für seine Bäderarchitektur. Das ist ein Baustil, der vor allem die Seebäder an der Ostseeküste prägt. Die Hoch-Zeit der Bäderarchitektur reichte von 1793 bis 1918, besonders zur Gründerzeit entstanden viele Häuser und Villen in diesem Stil an den deutschen Küsten – von Ahlbeck bis nach Heiligendamm, vereinzelt auch an der Nordseeküste. Usedom wahrt diese historische Identität auf besondere Art.

Typisch für die zwei- bis viergeschossigen Bauten sind die vorspringenden Fassadenteile, Balkone und Veranden. Es dominieren große Rundbogen- oder Rechteckfenster, verziert mit Jugendstilornamenten in maritimen oder floralen Motiven.

Dem Insel-Charme verfallen

Vom Frühstück direkt an den Strand, die Promenaden wie im 19. Jahrhundert entlang wandeln, Unmengen an Fischbrötchen verdrücken, einen Snack op Platt halten (oder einfach nicken), in die leuchtend roten Herbstbäckchen kneifen (sanft), Sand und Laub aufwirbeln, Erinnerungen an die DDR erspähen, das Kaminfeuer im Strandhaus anzünden, minutenlang in die Ferne schauen, den Horizont überall entdecken und fernwehträumen, den Sonnenaufgang über dem Meer beobachten, dem herbstlichen Insel-Charme erliegen.

Film & Kamera

Für die analogen Fotografien im quadratischen Format habe ich einen Kodak Porta 400 in meine Lomography Lubitel 166+ Kamera eingelegt und den Film ein bis zwei Stopps überbelichtet. In meiner letzten Kolumne Meerbummeln hatte ich schon ein wenig von meiner Lubi, einer charmanten Twin Lens Mittelformatkamera, erzählt.
Die Fotos im rechteckigen Format (bis auf die Behind the scenes Bilder und das Bild aus Swinemünde) habe ich mit meiner Canon EOS 3000N aufgenommen. Dieses Mal bestückt mit einem Kodak Ektar 100 Film. 
Und diese komischen Doppelbelichtungen mit den Häusern? Die Bilder habe ich zweimal belichtet. Auch die erwähnten Kameras haben eingebaute Doppelbelichtungsschalter: die Canon per Knopfdruck und bei der Lubi drückt man den Hebel einfach zweimal herunter. Man kann also ohne große Mühen Mehrfachbelichtungen aufnehmen, die nicht verrutschen.

Ihr wollt wissen, wie das mit den Doppelbelichtungen funktioniert? Auf meinem Lomoherz-Blog erfahrt ihr mehr. Hier ist übrigens noch so eine analoge Doppelbelichtung: 

Objekte gegen den Himmel zu fotografieren, eignet sich generell gut für eine Doppelbelichtung, da der Himmel dann wie eine weiße Leinwand für das zweite Bild fungiert.

Das zweite Bild, den Strandkorb, habe ich danach gleich nochmal “klassisch” fotografiert, weil er mir äußerst pittoresk erschien (gut, vielleicht fand ich auch das “E” wie in meinen Initialen ein bisschen attraktiv…).
Schon während ich abdrückte, hatte ich die Hoffnung, dass sich Strandkorb und Seebrücke als Postkarten-Motiv eignen würden. Und Tatsache! Nach der Entwicklung der Filme wurde Usedom ebenfalls Teil meiner Koordinaten-Postkarten-Reihe.

Rauf auf die Insel oder: vom Inselausflug zur Europareise

Meine Anreise auf die Insel Usedom war selten entspannt: Ich habe mich morgens in den Zug gesetzt, genauer gesagt in die UBB (Usedomer Bäderbahn) und bin ganz bequem von Stralsund nach Bansin getuckert. Da Stralsund der Startbahnhof war, konnte ich mir den besten Platz aussuchen. Das ist nicht unwichtig, denn schließlich geht es auf eine Insel! Vom Bansiner Bahnhof bin ich direkt zum Strand gelaufen, was ungefähr 20 Minuten dauert. Von dort bin ich – mit einigen Zwischenstopps und Seeblick – mal am Meer entlang, mal auf der Promenade über Heringsdorf nach Ahlbeck geschlendert (reine Schlenderzeit: ca. 1 Stunde). Am Ende des Inseltages bin ich in Ahlbeck wieder in die UBB gestiegen (vom Strand zum Bahnhof sind es ca. 15 Minuten) und mit Ostseerückenwind und roten Bäckchen zurück nach Stralsund gebraust.

Wer noch mehr von der Insel entdecken möchte oder nicht so gut zu Fuß ist, kann sich eines der zahlreichen UsedomRäder schnappen und von A nach B sausen – zum Abgeben eignet sich jede Station. Oder: Altbacken, aber geil: mit der Tschu-Tschu-Bahn einmal durch alle drei Käiserbäder. Es ist herrlich Oldschool und man entdeckt während der geführten Tour einfach ein bisschen mehr. Und für große Hop-on-hop-off-Busse ist auf der Insel ja eh kein Platz. Dafür gleiches Prinzip.

An einem anderen Herbsttag bin ich noch einmal mit dem Auto nach Heringsdorf gefahren. Und da ich so flexibel war, konnte ich nicht umhin, einen Abstecher ins polnische Seebad Świnoujście (Swinemünde) zu machen – das liegt nämlich auf derselben Insel und ist nicht einmal 15 Auto-Minuten von Ahlbeck entfernt. Wilde Fotomotive und die Ostsee-Mühlenbake Stawa Młyny inklusive.

Ahoj und bis zum nächsten Mal!

Conny

[armelse]

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