Wenn man an unserer ‚Wasserkante‘ groß wird, merkt man nicht gleich, was für ein Glück das ist. Alles fühlt sich selbstverständlich an. Der Zauber liegt darin, hier aufzuwachsen, dem Fernweh nachzugeben, die Welt zu entdecken und dann heimzukommen.
Und dann schätzt man an unserer Region auf einmal Dinge wie diese:
Die klare Luft im Winter, die zum Sommer hin langsam klebrig wird. Der Dorsch auf der Zunge und das Zitroneneis um den Mund verschmiert. Das Gebrüll der See in einer sturmumtosten Nacht und die Stille danach. Und überall der Horizont…
Dieses Mal habe ich keine typische Conny-Kolumne für euch. Keine Conny, die ihre Pizza lieber mag als ihr Date. Keine Tollpatsch-Geschichte wie ich mal wieder kurz vor knapp am falschen Ort lande oder von der Security verfolgt werde wie in den anderen Kolumnen (die übrigens wirklich so passiert sind).
Dieses Mal habe ich nur eine kleine Fotolovestory für euch. Von einem Mädchen und ihrer Liebe zu diesem einen Ort am Meer.
Seit ich von dort weggezogen bin, vermisse ich meine Halbinsel Fischland-Darß-Zingst und kehre immer wieder dorthin zurück. Mit meiner Filmkamera, mit meinen Gedanken und immer mit ein bisschen Herzschmerz.
Kommt ihr mit?
Nach Jahren in der Ribnitzer Platte hatten wir endlich genug Geld beisammen, um uns von den DDR-Möbeln mit Buntglasoptik und Fototapete zu verabschieden und unsere Plattenbauwohnung im 3. Stock mit state of the art Mahagony-Möbeln und einer schneeweißen Küche auszustatten.
Ein oder zwei Jahre wohnten wir in diesem schieren Platten-Luxus, bis mein Vater auf die Idee kam, ans Meer zu ziehen. Meine Mutter, die immer noch Sternchen in den Augen hatte, wenn sie über unsere grüne Ledercouch strich, war – um es gelinde auszudrücken – not amused. Erst recht nicht, als sie diese Bruchbude von Strandhaus sah, die uns als Miethaus angeboten wurde.
Selbst in meiner Erinnerung war dieses Haus völlig heruntergekommen und ich weiß noch, wie mein Bruder und ich später etliche Kartons voller angebrochener Wodka- und Kornflaschen aus dem Haus trugen. Egal, mein Vater und ich fanden dieses Abenteuer richtig gut. Und so sehr sich meine Mutter auch mit Händen und Füßen gegen diesen Umzug wehrte – wir steuerten direkt darauf zu.
Tatsächlich knickte sie irgendwann ein. Aber natürlich nicht ohne streng hochgezogener Augenbraue bei jeder Begehung. (Ein Ausdruck, den ich direkt von ihr übernommen habe und nur zu gerne einsetze, um die Reaktion meines Gegenübers zu beobachten, hihi.)
Am Ende liebte sie diesen Ort genauso sehr wie mein Vater und ich.
Über 25 Jahre später kann ich immer noch nicht glauben, was für ein unfassbares Glück ich hatte, an so einem Ort aufgewachsen zu sein; voller Magie, endlosen Sonnenuntergängen und einsamen Wintermeer-Spaziergängen. Auf meiner kleinen Halbinsel Fischland-Darß-Zingst.
Ich war 10, als wir nach Dierhagen-Ost zogen und meine Brüder hatten wahre Wunder bei der Renovierung unseres Hauses vollbracht, das direkt hinter dem Deich stand. Streng genommen fängt das Fischland erst im Nachbarort, im Ostseebad Wustrow an, aber da unser Haus das letzte Haus vor diesem Ostseebad Wustrow war, habe ich uns schon immer dazu gezählt. (Außerdem war die Eisdiele in Wustrow viel näher als die in Dierhagen).
Die grüne Ledercouch hatten wir gegen eine grüne Stoffcouch, unsere schneeweiße Küche gegen eine Kitchenette mit Bunzlauer Keramik und den Mahagony-Look gegen Naturholzvertäfelung eingetauscht. Mein Zimmer (eigentlich jedes Zimmer) war winzig, aber es hatte einen außergewöhnlichen Vorzug: es war das einzige, von dem man die Ostsee aus sehen konnte. Denn ursprünglich war es mal ein Balkon, ha.
Im Sommer, wenn mich meine Eltern längst im Bett wähnten (obwohl es erst nach 11 dunkel wurde), schwang ich manchmal meine Beine über die Fensterbrüstung und wartete auf das Geräusch oder diese besondere Farbe, wenn die Sonne das Meer berührt.
Mein Lieblingsort aus der Kindheit ist immer noch einer meiner Lieblingsplätze: mein Strand auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst. Früher war ich immer dort, jeden Tag! Das war nämlich die Route meiner Hundegang. Meine Collies und ich ströperten durch Windflüchter und Strandrosen, scharrten nach Bernsteinen (ich) und nach allem, was sich unterhalb der Sandschicht befinden könnte (Bob). Mit halb-wildem Blick, die Zunge an der Seite draußen. Happy as fukc. Das Wetter war dabei herzlich egal. Bei ordentlichem Wind gab es immer ein kostenloses Meersand-Peeling.
Nach der Schule zog es mich quer durch Europa. Einzige Bedingung: mindestens ein Meer musste in der Nähe sein. So verbrachte ich ein Jahr an der Südküste Englands, fast drei an der dänischen Ostsee, den Rest meines Studiums an der Flensburger Förde, ein halbes Jahr auf Malta und dann noch eine Zeitlang in Kieler Gefilden.
Aber das hier, das ist mein Strand. Nennt mich ruhig nostalgisch, aber nirgendwo anders baue ich lieber Matschburgen oder springe in die Wellen. Und sobald ich in der Nähe bin, hält mich keiner so schnell davon ab, an meinen alten Strand zu fahren.
Und dann: meerbummeln!
Immer, wenn ich über den Deich geklettert bin und endlich oben auf der Düne stehe, überkommt mich dieses heimelige Gefühl des Ankommens.
Die meisten Sommer-Strandgäste wollen so schnell wie möglich runter ans Wasser und können mit ihrem 20 Kilo-Gepäck gar nicht flink genug die beiden Deiche, die wahrscheinlich höchsten Erhebungen in der Gegend, erklimmen.
Für richtiges Strandgepäck wäre ich viel zu faul und warum sollte ich einen Windschutz aufbauen, wenn ich dahinter gar nicht das Meer sehen kann! So komme ich meistens nur mit Handtuch, (Unterwasser-)Kamera und Buch, bleibe aber oben auf der Düne noch einen Moment lang stehen. Einfach nur, um diesen Ausblick zu genießen. Denn von hier sieht man genau 3 Farben: sand, meer und himmel … und manchmal noch sonnenuntergang-horizont.
Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich diesen Strandabschnitt schon auf Film gebannt habe, aber so, wie andere immer wieder architektonische Ikonen ablichten, komme ich immer wieder an diesen Strand zurück. Meinen Strand.
Nach 5 Jahren am Meer sind wir übrigens aufs Land gezogen. An meinem letzten Tag saß ich mit meinen beiden Hunden ewig am Strand, um mich gebührend von der Ostsee zu verabschieden. Das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen.
Auch wenn mein Fischland jede Saison unter den vielen Sommerfüßen bestimmt ein paar Millimeter tiefer im Meer liegt, würde ich keine Sekunde zögern, wieder auf die Halbinsel zu ziehen, wenn sich nur die Möglichkeit ergäbe. Ein kleines Häuschen am Meer, wer träumt nicht davon?
An diesem Abend begleitete mich die Lubitel 166+, die zu diesem Zeitpunkt noch der Backfisch unter meinen Lomo-Kameras war. Ich war leicht nervös, ob der vielen “neuen” manuellen Einstellungen und auch ein bisschen unter Zeitdruck – ihr wisst schon, Sonnenuntergang und so…
Eingelegt hatte ich den Lomography X-Pro Slide 200 Mittelformat-Film und obwohl ich es etwas zu gut mit dem Lichteinfall auf die Linse meinte, gefallen mir die Überbelichtungen. Ich mag die reine und stille Atmosphäre die dadurch entstanden ist. Der Himmel ist kaum zu unterscheiden von der See, der Horizont nur ein verschwommener Fleck in pinken Blau- oder blauen Pinktönen…
Wie die Lubitel und ich uns kennenlernten ist übrigens eine andere Geschichte …
Und sie beginnt so:
Es war Liebe auf den ersten Blick. Als ich zum ersten Mal den Lomo Embassy Store in Berlin betrat, fiel sie mir sofort auf. Sie thronte auf einer Holzbox im Regal hinter der Kasse. Von Anfang an hatten wir Blickkontakt. Zunächst tänzelte ich noch ein wenig um sie herum, schlug die Augen nieder, wenn ich länger als ein paar Sekunden in ihre Richtung starrte und versuchte, mich für die vielen verschiedenen Filme zu interessieren. Welchen Film hat die Lubitel wohl am liebsten?
Die Wände des Lomo Embassy Stores waren damals noch mit Fotos plakatiert, sodass sie eine lustige und quietschbunte Lomo-Tapete ergaben. Aber welche Fotos stammen wohl von der Lubi? (jetzt waren wir also schon bei Kosenamen). Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und bat die Verkäuferin, mir dieses Schmuckstück näher anschauen zu dürfen. 300 Tacken. Heiliger bim bam. Und ich machte gerade ein unbezahltes Praktikum. Um sie noch ein wenig länger in den Händen halten zu können, lenkte ich die sehr nette Verkäuferin mit Fragen zum Scannen und Entwickeln ab. Aber schließlich war unsere Zeit vorbei und ich musste mich damit begnügen, sie 2 Monate lang jeden Morgen durch das Schaufenster anzuhimmeln, denn der Embassy Store lag in der gleichen Straße wie die Ullstein Verlage, bei denen ich damals mein Uni-Praktikum absolvierte. Und so lief ich jeden Tag zweimal an ihr vorbei, winkte ihr heimlich zu und hoffte, dass sich unsere Wege bald wieder kreuzen würden.
Es dauerte 3 Jahre, bis wir uns wiedersahen.
Ahoi und bis zum nächsten Mal!
Conny
PS: Jap, das da bin ich auf dem Fischland-Darß 😉
Einmal im Krokodil-Bademantel mit meiner Collie-Hündin (wie man das eben so macht, wenn man hinterm Deich wohnt) und einmal in einer analogen Doppelbelichtung, auch Ghost Shot genannt.
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