Conny Eisfeld, aka Lomoherz, schreibt in ihrer Kolumne über besondere Orte und ihre dort entstandenen Fotos. Im Juni nimmt sie Dich mit auf die Insel Hiddensee!
Es ist Sommersonnenwende auf Hiddensee und die Sonne steht an diesem Tag so hoch über dem Horizont wie sonst nie im Jahr.
Je nördlicher der Ort, desto länger der Tag. In München zum Beispiel ist der Sommersonnenwendtag eine ganze Stunde kürzer als in Hamburg.
Und während die Sonne nördlich des Polarkreises gar nicht erst untergeht, sind wir auf dieser Insel gefühlt schon ziemlich nah dran, denn bis in die späten Stunden sieht man noch Licht am Himmel, nach Mitternacht sogar noch Schattierungen.
Am dunkelsten ist es vor der Morgendämmerung.
Wenn das so ist, muss das Gegenteil auch stimmen, oder? Am hellsten ist es vor der Abenddämmerung.
In jener Mittsommernacht auf Hiddensee haben wir beides erlebt, denn die Nacht, in völliger Dunkelheit, dauert um den 21. Juni herum nur 4 Stunden. Vielleicht 3 oder 5. Also gefühlt. Genau weiß ich es nicht, denn ich habe die Zeit nicht gestoppt. Aber ich weiß noch, dass es bis spät in die vermeintliche Nacht nie ganz dunkel wurde und dass um kurz nach 3 bereits das erste Tageslicht anbrach.
Ein Katzensprung von gleißend hell bis tiefschwarz und zurück.
Kurz vor Sonnenuntergang radel ich alleine von Vitte nach Neuendorf. Ich vergesse jedes Mal, dass das nicht so schnell geht wie von Vitte nach Kloster und schon bald hängt mir buchstäblich die Zunge aus dem Hals. Die Sonne steht bereits so tief, dass ich völlig zerrissen bin zwischen a. noch halbwegs pünktlich am Südleuchtturm anzukommen und b. diese unglaublich magische Lichtstimmung auf dem Weg mit meiner analogen Kamera einzufangen. Ich entscheide mich kurzerhand für einen Kompromiss: nur ein – na höchstens zwei! – Mal absteigen ist erlaubt. Sonne lacht, Blende 8 und schon geht’s wieder rauf auf den Drahtesel. Ich trete noch ein bisschen stärker in die Pedale und hoffe, dass mir der Gang nicht wieder herausspringt.
Der Gang bleibt drin, doch dafür beginnt die Versandung des Waldwegs kurz vorm Leuchtfeuer schon viel früher als sonst. Doch wenn ich etwas auf Hiddensee gelernt habe, dann mit dem Rad durch Strandsand zu donnern! Wobei im Schneckentempo hindurchwinden wohl die bessere Bezeichnung wäre…
Ich bin froh, dass meine Kamera dieses Mal schon geladen und bereit ist und lasse am Fuße des kleinen Leuchtturms mein Fahrrad einfach ins Dünengras fallen. Seltsamerweise bin ich bei diesem Knaller-Sonnenuntergang allein am Sandhaken. Wahrscheinlich wird am Strand Richtung Norden oder am anderen Leuchtturm reges Sonnenuntergangskieken betrieben. Es blitzt, aber nicht in der Kamera, sondern im Leuchtturm während seiner Umdrehung und ich hoffe, genau dieses Aufblitzen auf Film festgehalten zu haben.
Den kleinen Leuchtturm in der Tasche radel ich – oh yes! – zu dem anderen Leuchtturm. Den am Dornbusch. Den, den alle kennen. Den aus dem Wetterbericht. Schafft man mit dem Rad übrigens locker an einem Tag oder an einem Abend – von Gellen bis zum Dornbusch sind es ungefähr 45 Minuten mit Pedale.
Ich habe mir das Hiddenseer Wahrzeichen vor allem wegen des Lichts so spät in den Tag gelegt. Und um dem Gästeverkehr zu entkommen und womöglich niemanden im Bild zu haben. So oder so wird das immer wahrscheinlicher, denn mit dem schwindenden Tag und der niedrigen Iso-Einstellung wird mein Foto-Abenteuer ohnehin auf Langzeitbelichtungen hinauslaufen. Juhu! Ich liebe Langzeitbelichtungen, mache sie viel zu selten und habe aus einem Impuls heraus erst vor kurzem in einen flexiblen ND-Filter investiert, um damit auch tagsüber Langzeitbelichtungen zu machen. Denn wo ist der Effekt am schönsten? Am Wasser! Mit Licht!
Ich checke noch schnell, ob auch niemand mein Stativ von meinem unangeschlossenen Fahrrad entfernt hat und los geht’s! Aber eines sage ich gleich vorweg: Bis ganz oben zum „Leuchtturm-Berg“ zu radeln habe ich noch nie geschafft. Ich cruise lieber durch 10 Sandberge als einen einzigen Hügel hinauf und so kommt es, dass ich mich zum zweiten Mal an diesem Tag mit wohl durchblutetem Kopf durch die Inselgegend schnaufe. Kurze Rast am Ausguck mit Blick über die gesamte Seepferdchen-Insel, dann zum Fahrradparkplatz und den Rest des Weges ohne bequeme Fahrrad-Stütze bis zum Leuchtturm.
Ich kann nicht glauben, dass mein Plan tatsächlich aufgeht: Hier ist absolut niemand! Der Gästesturm hat die Insel mit der letzten Fähre verlassen und die Urlaubenden und Hiddenseer:innen scheinen heute an einem anderen Leuchtfeuer interessiert zu sein (der Mitternachtssonne?).
Ich wandere in Richtung Steilküste, drücke beherzt den Auslöser und mache den ersten Film voll. Zu spät merke ich, dass ich den 2. frischen Film in der Radtasche liegen gelassen habe. Also nochmal zurück zum Fahrradparkplatz und neuen Film einlegen. Meine Vergesslichkeit nervt mich wieder tierisch, aber am Ende habe ich durch die Zeitverzögerung viel bessere Lichtverhältnisse für meine Langzeitbelichtung mit Leuchtturmlicht.
Lichtfotografie braucht Geduld und es ist gar nicht so einfach, bewusst einen Gang herunterzuschalten (vor allem, wenn man einen Zeitplan hat). Aber es lohnt sich so sehr! Gönnt es euch, zu warten, den Moment zu genießen, nicht gleich das ganze Pulver zu verschießen, durchzuatmen und zu beobachten, wie sich die Magie der blauen Stunde direkt vor euren Augen entfaltet!
Ich sause mit zig Sachen den Dornbusch-Berg herunter und es ist das beste Gefühl überhaupt. Unten angekommen, treffe ich meine Festland-Freunde am Inselmarkt in Kloster. Das war tatsächlich so geplant, aber es hätte auch purer Zufall sein können. Die Dinge passieren hier so auf der Insel. Losgelöst und glucksend tapern wir gemeinsam zum Strandübergang hinter den Wellenbrechern.
Bevor wir es uns mit billigem Wein und kirschroten Erdbeeren richtig gemütlich machen, sehen wir schon, dass in Richtung Vitte viel mehr los ist. Und ist das etwa ein Feuerchen in der Ferne? Tanzen die Leute im Feuerschein, wie es in vielen Ländern zu Mittsommer Brauch ist? Das müssen wir jetzt aber wissen!
Wir schwingen uns barfuß auf die Räder und sind auch ohne Schnaps schon halb dun von diesem Licht, dieser magischen Stimmung und dem nahenden Sommer, auf den wir so lange gewartet haben. Wir radeln die ganze Strecke nach Vitte auf dem Deich entlang, das Meer im rechten Blickwinkel. Der Typ auf dem Gepäckträger (der damit den Reifen fast in die Knie zwingt, was die schnaufartigen Geräuschen vom Vordermann erklärt) stimmt ein schiefes Lied an und das Mädel vor mir hat schon gar keine Hände mehr am Lenkrad.
Das Auto-Verbot auf dieser Insel stellt einen zwar immer mal wieder vor ordentlichen Herausforderungen, aber es bringt auch eine Freiheit mit sich, die fast obszön bilderbuchromantisch ist.
Und alles ist leicht!
Während in ganz Skandinavien verschiedene Mittsommer-Bräuche groß gefeiert werden, sitzen wir hier „nur“ am Strand und gucken zu, wie das letzte Tageslicht wie ein Lakritzbatzen am Himmel kleben bleibt. Ab und zu schieben sich Wolken davor, doch noch immer blitzt irgendwo ein rosa Streifen hervor, wie der Zuckerrand auf der Lakritz-Pfeife. Vielleicht ist das jetzt unser Brauch. Wobei, in Spanien springt man wohl gemeinsam um Mittsommermitternacht ins Wasser. Das wär doch was!
Kurz vorm nächsten Strandaufgang flackert übrigens das Feuer, was den Mittsommertraditionen am nächsten kommt. Es ist kein öffentliches Spektakel, nur ein bisschen Gemütlichkeit mit Musik und Stockbrot. Ein paar Meter weiter in die andere Richtung sitzen wieder Leute und würde man diesen Strandabschnitt von oben betrachten, ergäbe sich sicher eine Art Schachbrettmuster – jedes Feld mit einer Picknickdecke bedeckt, in der rechten Hand das Handy für Mittsommernachtsschnappschüsse und in der linken Hand ein Sektchen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir zumindest das alle gemein haben. Feuerchen hin oder her. Doch anders als in den nordischen Ländern, wo die Mittsommerfeierlichkeiten die wahrscheinlich längste Polonaise hervorbringt, bleiben die Picknick-Kreise hier erst einmal für sich. Vielleicht vermischt man sich später bei der Secret Party. Ob die Location noch geheim ist? Gut möglich.
Zwischen Anekdoten und Chips fällt mein Blick immer wieder auf die Ostsee, auf der sich große und kleine Segelboote wogen. Ein Motiv, das mich magisch anzieht und ich frage mich, wie lange ich es noch auf dieser Picknickdecke aushalte. Das Stativ habe ich aus welchem Grund auch immer in der Fahrradtasche gelassen und so müssen wohl die Buhnen als Stativ und Fels in der Brandung herhalten. Denn ich will richtig lange belichten.
Tatsächlich mache ich sogar eine kleine Belichtungstabelle zum Vergleich, wenn die Filme später entwickelt sind. Wann sieht eine Meer-Langzeitbelichtung bei diesen Lichtverhältnissen am schönsten aus? Bei 15 Sekunden Belichtung? 30 Sekunden? Oder gar einer Minute? Ich gönne mir nur diese eine Testreihe, für mehr bin ich zu knauserig. Kodak hat gerade seine Preise für den Portra Film angehoben und die Entwicklung mit Scan kostet auch jedes Jahr ein bisschen mehr.
Am Ende gefällt mir aus dieser Belichtungsstrecke die 30 Sekunden Variante (hier in der Mitte zu sehen) am besten und wende sie seither am liebsten an.
Wir hatten Glück, denn der Tag war nicht nur sonnig, sondern auch richtig schön warm. Aber irgendwann wird es dann doch zu kühl und die Mücken lassen das ultimative Komm, wir pennen am Strand wenig romantisch erscheinen.
Und am Ende, als wir mit unseren Fahrrädern zurück nach Kloster fahren, ist es schließlich doch stockdunkel. Die kleinen Kreise unserer Scheinwerfer sind die einzige Lichtquelle. Die vollkommene Dunkelheit kann man erst auf einer Insel wie diese richtig genießen. Keine Lichtverschmutzung, aber dafür 1 Million Sterne, wenn es klar ist.
Ich bilde das Schlusslicht, denn mein Rücklicht ist das einzige, das richtig funktioniert. Meine alten und neuen Freunde vor mir singen schon wieder lustige Lieder, ich verliere fast einen Schuh und wir lachen uns schlapp über ein Geheimnis und dann über das nächste.
Seltsam, wie unsere Stimmen hier draußen die einzigen Geräusche zu sein scheinen.
❤
Wir kennen Mittsommer wohl als ein einziges großes Sommerfest in Skandinavien, besonders in Schweden.
Doch es gibt auch im hohen Norden feine Unterschiede und die Sommersonnenwende wird auch im Baltikum groß gefeiert. Ebenfalls in anderen Ländern, nur meist unter anderem Namen – z.B. Johannisfest.
Für die analogen Fotografien im quadratischen Format habe ich einen Kodak Porta 400 in meiner Hasselblad Kamera verwendet und auf 100 belichtet. Die Fotos im rechteckigen Format (bis auf die Behind the scenes Bilder) habe ich wieder mit meiner Canon A-1 aufgenommen. Dieses Mal bestückt mit einem Kodak Professional Pro Image 100 Film. Bis auf die Doppelbelichtungen, die Bilder am Leuchtturm Gellen und auf dem Deich sind sie alle Langzeitbelichtungen. Mal mit echtem Stativ aufgenommen, mal mussten Buhnen oder Bänke als Stütze herhalten.
Und dieses verrückte Bild mit dem Dünengras im Meer? Das ist eine Doppelbelichtung. Ich habe das Bild zweimal belichtet. Die Canon A-1 hat nämlich einen grandiosen Vorteil: Sie verfügt über einen eingebauten Doppelbelichtungsschalter. Man kann also ohne große Mühen Mehrfachbelichtungen aufnehmen, die nicht verrutschen.
Ihr wollt wissen, wie das mit den Doppelbelichtungen funktioniert? Auf meinem Lomoherz-Blog erfahrt ihr mehr!
Mit meiner Hasselblad CM 500 bin ich am liebsten unterwegs. Das ist eine alte schwedische Mittelformatkamera, hat ordentlich Gewicht, macht aber neben dem filmreifen Gefühl während der Aufnahme (Ja, man schaut von oben rein!) zauberhafte Bilder im richtigen Licht.
Mit der Mittelformatkamera bin ich auch meistens unterwegs, um die Bilder für meine Fotokalender aufzunehmen – es gibt sogar einen Hiddensee-Kalender. Auch meine Hiddensee-Postkarten zieren analoge Fotografien aus der Hasselblad:
Genau wie diese kleine Photolovestory:
Ahoi und bis zum nächsten Mal!
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