Conny Eisfeld, aka Lomoherz, schreibt ab sofort für uns eine Kolumne über besondere Orte und ihre dort entstandenen Fotos.
Es ist stockdunkel. Durch die Äste hindurch sehe ich, dass eigentlich noch blaue Stunde ist, aber der Wald hat schon längst die Nacht eingeläutet. Um mich herum stehen keine Straßenlaternen wie zu Hause in der Stadt, sondern dichte, meterhohe Bäume, die den Blick auf das letzte Tageslicht verdunkeln. Mein Akku ist bei 7 Prozent und ich gratuliere mir selbst mit einem grazilen Augenrollen. Also lieber nicht die Taschenlampen-App starten. Aber hey, dafür hast du jetzt 50 Sonnenuntergangvideos auf dem Handy, Conny. Und 23 Selfies. Hoffentlich nicht die letzten.
Ich öffne ein letztes Mal Google Maps, mache einen Screenshot und präge mir den Weg zurück zum Parkplatz ein.
Wo ich bin? Mitten im Darßer Wald. Alleine (hoffe ich zumindest) und komplett aus der Zeit gefallen.
Zum Einbruch der Dunkelheit wollte ich längst wieder auf dem Weg nach Hause sein. Und jetzt sagt mir Google, dass ich noch 35 Minuten bis zu meinem Auto brauche.
Weil ich mal wieder viel zu spät zu diesem Fototrip aufgebrochen bin. Weil ich mich mal wieder nicht für eine Kamera-Film-Kombination entscheiden konnte. Und weil der Sonnenuntergang über dem Meer mal wieder viel zu schön war. (Und ich verdrängt habe, wie kurz die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Dunkelheit im März noch ist.)
Im Hintergrund höre ich das stete Schwingen des Darßer Leuchtturms. Ein sonderbares Geräusch, das nur ein Leuchtfeuer machen kann. Langsamer als ein Windrad, flüchtiger als eine Fackel im Sturm. Alle paar Sekunden sehe ich es um mich herum aufglimmen. Und obwohl Leuchttürme dafür gemacht sind, den Weg nach Hause zu zeigen, macht dieses zuckende Licht alles noch viel unheimlicher …
Ende März mache ich mich auf den Weg nach Prerow. Es ist klar und kalt und wenn ich Glück habe, ergibt diese Kombination wieder einen Knaller-Sonnenuntergang. Ich will an den Weststrand, jener Ort auf dem Fischland-Darß, der mal unter die 10 wildromantischsten Strände weltweit gewählt wurde.
Im Gepäck habe ich meine Allzweck-Kamera, die Canon A-1 und die Lochkamera RealitySoSubtle, also eine Kamera ohne Linse. Ich will sie später irgendwo am Strand aufstellen und lange belichten.
Normalerweise komme ich über den Müllerweg an den Weststrand, aber dieses Mal will ich zum Leuchtturm. Ich parke auf dem Parkplatz Bernsteinweg in Prerow. Von dort sind es knapp 5 km bis zum Leuchtturm. Hinter der Schranke zum Campingplatz kann man den Parallelpfad durch den Darßwald nehmen, in dem man schon das Meer rauschen hört. Danach kommt ein Plattenweg, noch original aus der DDR, anschließend eine Gabelung. Dort kann man sich entscheiden, ob man auf direktem Wege zum Leuchtturm wandern möchte oder lieber über Los geht und den wahrscheinlich schönsten Naturpfad einschlägt. Der Rundwanderweg Darßer Ort verläuft hier als Bretterweg quer durch die wildromantische Dünenlandschaft am nördlichsten Zipfel der Halbinsel. Ich gerate kurz in Versuchung, aber für den Bohlenweg steht die Sonne schon zu tief.
Eine kleine Weile später lugt die Spitze des Leuchtturms Darßer Ort durch den Wald hervor. Fast geschafft! Ein Aufstieg zur Laterne lohnt sich unbedingt, vor allem bei Sonnenuntergang, denn die Sonne am Weststrand geht – Überraschung – mitten im Meer unter. 126 Stufen führen hinauf zum ältesten leuchtenden Leuchtturm an der Ostseeküste, der 1849 erbaut wurde. Im Leuchtturmwärterhäuschen nebenan befindet sich ein Teil des Natureums – eines der wenigen Museen in Deutschland, das man nur zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der Pferdekutsche erreichen kann. Es gehört zum Stralsunder Ozeaneum und Meeresmuseum und liegt mitten im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft.
Ich mache ein paar Fotos, denn die Bäume um den Leuchtturm herum knospen schon. Es ist der 20. März, die erste Tag-und-Nacht-Gleiche des Jahres. An diesem Tag im März (und später im September) ist der Tag genauso lang wie die Nacht. Vereinfacht könnte man die Welt dann mit einem Kuchenmesser längs durchschneiden und bekäme eine helle und eine dunkle Hälfte. Morgen, also ein Tag später, ist schon wieder alles im Ungleichgewicht und der Tag überwiegt die Nacht auf der Nordhalbkugel. (Endlich.)
Eleanor Catton hat übrigens einen eindrucksvollen, wenngleich mächtig dicken Roman um das Äquinoktium gesponnen – „Die Gestirne“ (Orig. „The Luminaries“) heißt er.
Und dann ist es soweit: Ich halte ich es nicht mehr aus und laufe vom Leuchtturm schnurstracks in Richtung Meer. Das Licht kurz vor Sonnenuntergang zieht mich magisch an und tüncht die Windflüchter und das Dünengras schon mal in Bernsteinlicht.
Auch wenn ich das Glück hatte, ein paar Jahre auf dieser Halbinsel zu wohnen, fiebere ich immer noch dem Moment entgegen, wenn die Kuppe des Sanddeichs endlich den Blick zur Ostsee freigibt. Ob in Wustrow, in Ahrenshoop oder hier in Prerow – das gleiche Kribbeln. Und dann: Freiheit! Himmel trifft Meer! Seesterne in den Augen! Wie in Caspar David Friedrichs Der Wanderer über dem Nebelmeer muss man, das linke Bein am Dünenberg angewinkelt, kurz innehalten und den Augenblick genießen. Wird dieser Anblick jemals weniger schön sein? Ich glaube nicht.
Nach meinem Marsch zum Leuchtturm, wandere ich am Strand gar nicht mehr so viel herum. Ich setzte mich auf ein großes Stück Treibholz und lasse mich von den Wellen hypnotisieren. Leichte Beute bin ich, die höchstens von einer groß angelegten Muschelsuche abgelenkt werden – oh, eine Möwe!
Der Strand ist hier etwas schmaler als weiter westlich, aber vielleicht drückt die Ostsee auch gerade landeinwärts. Unsere Version von „Ebbe und Flut“. Etliche Meter weit weg sehe ich zum ersten Mal einen weiteren Weststrandwanderer und am Horizont knipsen die Schiffe langsam ihre Lichter an.
Von all dem lasse ich mich seesüchtig bezirzen, lange bevor ich meine Filmkamera wieder aus dem Rucksack hole.
Als ich nach Hause komme, spule ich die Fotofilme zurück und bereite sie für die Reise ins Fotolabor vor, wo sie entwickelt und gescannt werden. Eingekuschelt auf dem Sofa scrolle ich meine Videos auf dem Handy durch, das nun endlich wieder bei 100% ist. Dabei fällt mir ein, dass ich neben den vielen Sonnenuntergangsvideos sogar ein Sonnenuntergangsvideoselfie aufgenommen habe. Ich habe es zwar nie gepostet, aber es geht ungefähr so: Die Kamera schwenkt vom Leuchtturm zum Windflüchter und dann zum Meer. Ein paar Locken wehen vor die Linse, dann meine Kamera, die an meinem Bauch wippt, und schließlich mein winterleuchtendes Gesicht, von dem vor lauter Schal und Mütze nicht viel zu sehen ist. Romantisiert von der Solitüde und dem filmreifen Sonnenuntergangslicht komme ich in dem wellenumtosten Video ins Schwärmen:
Genau aus diesem Grund bin ich wieder nach Hause gekommen. Zurück in meine Heimat. Das hab ich so nirgendwo anders gesehen. Nicht auf Malta, nicht in England, ein bisschen in Dänemark, aber ganz sicher nicht in Montana in den USA. Überall dort gibt es auch ganz wundervolle Orte … Aber nirgendwo sieht es so aus wie hier. Ist dieses Licht so einzigartig wie hier. Ich schwör!
Ein verlegener Lacher und dann geht die Kamera über dem Windflüchter hinter der Düne aus. Beinahe gleichzeitig mit dem Tageslicht. Denn ein paar Minuten später begleitet mich nur noch das Leuchtfeuer zurück durch den Darßer Wald…
Für die analogen Fotografien habe ich einen Fuji Pro 400H Film in meiner Canon A-1 Kamera verwendet. Viele Analogies haben statt der A-1 den Klassiker Canon AE-1 Program in ihrem Regal stehen. Die ist ein echtes Allround-Talent und perfekt für Einsteigerinnen und Einsteiger. Aber die Canon A-1 hat einen grandiosen Vorteil: Sie verfügt über einen eingebauten Doppelbelichtungsschalter. Man kann also ohne große Mühen Mehrfachbelichtungen aufnehmen, die nicht verrutschen (ist bei der AE-1 Program schon etwas schwieriger).
Ihr wollt wissen, wie das mit den Doppelbelichtungen funktioniert? Auf meinem Blog erfahrt ihr mehr!
… und was wurde aus der Lochkamera? Das hier! Die scheinbare Marslandschaft hat mich ebenso überrascht, denn ich hatte ganz vergessen, dass ich einen Redscale-Film eingelegt hatte (der, wie der Name schon sagt, alles in Rottöne tüncht).
Aber das ist eine andere Geschichte….
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